Schwerpunktthema: Arbeitsmedizinische Vorsorge

Ziele, Inhalte, Rollen der Beteiligten

Arbeitsbedingte Erkrankungen und Berufskrankheiten können mit Maßnahmen der arbeitsmedizinischen Vorsorge frühzeitig erkannt und verhindert werden. Konsequent umgesetzt, leistet arbeitsmedizinische Vorsorge also einen Beitrag zum Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit und zur Weiterentwicklung des betrieblichen Gesundheitsschutzes. Betriebsärzte und Betriebsärztinnen unterstützen dabei.

Die arbeitsmedizinische Vorsorge ist in der „Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge“ (ArbMedVV) geregelt. Ziel ist es, arbeitsbedingte Erkrankungen früh zu erkennen oder im besten Falle sogar zu verhindern. Die ArbMedVV dient dazu, individuelle Wechselwirkungen von Arbeit und physischer sowie psychischer Gesundheit zu beurteilen und festzustellen, ob bei der Ausübung einer Tätigkeit eine erhöhte gesundheitliche Gefährdung besteht.

Je nach Tätigkeit und Gefährdungen müssen Arbeitgeber für die Beschäftigten eine arbeitsmedizinische Vorsorge verpflichtend veranlassen (Pflichtvorsorge) oder anbieten (Angebotsvorsorge) und während der Arbeitszeit ermöglichen. Zudem gibt es auch eine Vorsorge auf Wunsch der Beschäftigten, die sogenannte Wunschvorsorge (siehe Kästen).

BGHM-Magazin 2024-05: Arbeitsmedizinische Vorsorge
© BGHM

Die Vorsorge für den einzelnen Beschäftigten oder die einzelne Beschäftigte besteht aus einem ärztlichen Beratungsgespräch mit Anamnese sowie körperlichen Untersuchungen, soweit diese für die individuelle Aufklärung und Beratung erforderlich sind und der oder die Beschäftigte sie nicht ablehnt. Als Abschluss der Vorsorge geben Betriebsärzte und -ärztinnen den Beschäftigten individuelle Präventionsempfehlungen, die sich aus den zuvor gewonnenen Erkenntnissen ergeben haben. Sie müssen Beschäftigten und Arbeitgebern zudem eine Vorsorgebescheinigung ausstellen, die die Teilnahme an der arbeitsmedizinischen Vorsorge bestätigt und Angaben zum Zeitpunkt und zum Anlass des Vorsorgetermins macht. Ebenfalls enthalten ist die Angabe, wann eine weitere arbeitsmedizinische Vorsorge aus ärztlicher Sicht angezeigt ist. Was die konkreten Ergebnisse einer Untersuchung angeht, unterliegen Betriebsärzte und -ärztinnen der ärztlichen Schweigepflicht.

Der Arzt oder die Ärztin muss darüber hinaus auch die Erkenntnisse arbeitsmedizinischer Vorsorge auf den ganzen Betrieb hin betrachten und auswerten. Ergeben sich Anhaltspunkte dafür, dass die vorhandenen Arbeitsschutzmaßnahmen nicht ausreichen, so hat der Arzt oder die Ärztin dies dem Arbeitgeber mitzuteilen und Maßnahmen vorzuschlagen. Hält der Arzt oder die Ärztin aus individuellen medizinischen Gründen einen Tätigkeitswechsel für einen Beschäftigten oder eine Beschäftigte für erforderlich, so bedarf diese Mitteilung an den Arbeitgeber der Einwilligung der betreffenden Person.

Mit ihren Kompetenzen leisten Betriebsärzte und Betriebsärztinnen einen wichtigen Beitrag zur Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Beschäftigten. Sie beraten zu Aspekten des Arbeitsschutzes, der Prävention sowie der betrieblichen Gesundheitsförderung und sie führen die arbeitsmedizinische Vorsorge durch. Dabei richtet sich ihr Angebot sowohl an die Beschäftigten eines Betriebes als auch an die Unternehmerinnen und Unternehmer.

Grundlage für die erfolgreiche Tätigkeit ist, dass Betriebsärzte und -ärztinnen die Betriebe, die sie betreuen, sehr gut kennen. Dies gelingt zum Beispiel, wenn sie an der Gefährdungsbeurteilung und an Arbeitsplatzbegehungen mitwirken. Dabei sprechen sie auch mit den Betriebsangehörigen. Zudem nehmen sie an den Sitzungen des Arbeitsschutzausschusses teil, der in Unternehmen ab 20 Beschäftigten zu bilden ist.

Ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge

Betriebsärzte und -ärztinnen betrachten immer den Menschen, den sie betreuen, als Ganzes. Sie bewerten nicht nur die Wechselwirkungen von Arbeit und Gesundheit, sondern ebenso Zusammenhänge und Wechselwirkungen zwischen Arbeit und Privatleben und deren Auswirkungen auf die Gesundheit.

Um ein möglichst umfassendes Bild der Belastungen am Arbeitsplatz zu bekommen, sieht die ArbMedVV vor, dass mehrere in deren Anlage definierte Vorsorgeanlässe und eine eventuelle Wunschvorsorge möglichst in einem Termin gebündelt werden. Dieses bewährte ganzheitliche Verständnis wird in der Arbeitsmedizinischen Regel (AMR) 3.3 „Ganzheitliche arbeitsmedizinische Vorsorge unter Berücksichtigung aller Arbeitsbedingungen und arbeitsbedingten Gefährdungen“ konkretisiert. Wirkungsvoll ist die ganzheitliche Vorsorge dann, wenn erhöhte individuelle Risiken und Erkenntnisse über allgemeine Gefährdungen des Arbeitsplatzes berücksichtigt und im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements mit der Prävention verknüpft werden.

Nachgehende Vorsorge

Gesundheitsstörungen können auch nach längeren Latenzzeiten auftreten, also lange nach der Einwirkung zum Beispiel von Gefahrstoffen. Um entsprechenden Erkrankungsfällen vorzubeugen beziehungsweise diese im besten Fall frühzeitig zu erkennen, wurde vom Gesetzgeber die nachgehende Vorsorge als Angebot für die betroffenen Beschäftigten eingeführt. Der Arbeitgeber muss eine nachgehende Vorsorge anbieten, wenn Beschäftigte im Anhang der ArbMedVV aufgeführte Tätigkeiten, beispielsweise mit bestimmten Gefahrstoffen, nicht mehr ausführen. Dabei ist es egal, ob die betroffenen Beschäftigten die Tätigkeit innerhalb des Unternehmens gewechselt haben oder ob sie das Unternehmen verlassen haben.

Mit dem Ende des Beschäftigungsverhältnisses kann der Arbeitgeber die Verpflichtung der nachgehenden Vorsorge allerdings auf den zuständigen gesetzlichen Unfallversicherungsträger übertragen. Dabei überlässt er ihm die erforderlichen Unterlagen in Kopie, sofern der oder die Beschäftigte eingewilligt hat. Überträgt der Arbeitgeber die nachgehende Vorsorge, übernimmt der Unfallversicherungsträger, also zum Beispiel die BGHM, die entstehenden Kosten für ärztliche Untersuchungen, die Reisekosten zu den Untersuchungen und im Einzelfall den Verdienstausfall. Diese Kosten entfallen dann für den ehemaligen Arbeitgeber. Die BGHM erinnert die ehemaligen Beschäftigten auch rechtzeitig an die entsprechenden Vorsorgetermine.

Um die arbeitsmedizinische Vorsorge und speziell die nachgehende Vorsorge gebündelt sicherzustellen, betreiben die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung gemeinsam unter dem Dach der „DGUV Vorsorge“ verschiedene Organisationsdienste Die Beschäftigten können sich selbst jederzeit – also zu Beginn, während oder nach Beendigung der gefährdenden Tätigkeit – anmelden oder der Arbeitgeber kann das übernehmen. Wenn der Arbeitgeber die Anmeldung vornimmt, muss der oder die Beschäftigte eine Einwilligungserklärung ausfüllen und dem Arbeitgeber übergeben. Spätestens nach dem Ausscheiden aus dem Unternehmen müssen das Datum der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses und die Dauer der Exposition im DGUV-Meldeportal mitgeteilt werden. Für Fragen zur nachgehenden Vorsorge ist die BGHM per E-Mail erreichbar: nachgehendevorsorge@bghm.de.

Eignungsbeurteilungen

Die arbeitsmedizinische Vorsorge gemäß ArbMedVV umfasst nicht den Nachweis der gesundheitlichen Eignung für berufliche Anforderungen nach sonstigen Rechtsvorschriften oder individual- beziehungsweise kollektivrechtlichen Vereinbarungen. Sprich: Arbeitsmedizinische Vorsorge beinhaltet keine Eignungsbeurteilungen. Sie soll auch nicht zusammen mit Untersuchungen, die dem Nachweis der gesundheitlichen Eignung für berufliche Anforderungen dienen, durchgeführt werden, es sei denn, betriebliche Gründe erfordern dies. Ist das der Fall, hat der Arbeitgeber den Arzt oder die Ärztin zu verpflichten, die unterschiedlichen Zwecke von arbeitsmedizinischer Vorsorge und Eignungsbeurteilungen gegenüber dem oder der Beschäftigten offenzulegen.

DGUV Empfehlungen für arbeitsmedizinische Beratungen und Untersuchungen

Mit den „DGUV Empfehlungen für arbeitsmedizinische Beratungen und Untersuchungen“, die im Sommer 2022 veröffentlicht wurden, stehen Betriebsärzten und Betriebsärztinnen sowie weiteren Akteurinnen und Akteuren im Betrieb praxisnahe Informationen für die Umsetzung der arbeitsmedizinischen Vorsorge oder von Eignungsbeurteilungen zur Verfügung. Diese Empfehlungen haben die bis dato gültigen „DGUV Grundsätze für arbeitsmedizinische Untersuchungen“ abgelöst.

Dr. Florian Struwe, BGHM

Untersuchung im Krankenhaus
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Gut zu wissen: Arbeitsmedizinische Regeln

Die Arbeitsmedizinischen Regeln (AMR) konkretisieren die Anforderungen aus der ArbMedVV. Sie geben dabei den Stand der Arbeitsmedizin und sonstige gesicherte arbeitsmedizinische Erkenntnisse wieder. Hält der Arbeitgeber die AMR ein, wird die sogenannte Vermutungswirkung ausgelöst: Er kann dann davon ausgehen, dass er die Anforderungen der ArbMedVV erfüllt.

Wunschvorsorge

Die Wunschvorsorge ist eine arbeitsmedizinische Vorsorge, die der Arbeitgeber den Beschäftigten bei allen Tätigkeiten zu ermöglichen hat, also auch bei Tätigkeiten, die nicht im Anhang der ArbMedVV aufgelistet sind und damit keine Pflicht- oder Angebotsvorsorge erfordern. Der Anspruch auf eine Wunschvorsorge besteht nur dann nicht, wenn aufgrund der Beurteilung der Arbeitsbedingungen und der getroffenen Schutzmaßnahmen nicht mit einem Gesundheitsschaden zu rechnen ist.

Angebotsvorsorge

Die Angebotsvorsorge ist eine arbeitsmedizinische Vorsorge, die der Arbeitgeber den Beschäftigten bei bestimmten gefährdenden Tätigkeiten anzubieten hat. Diese Tätigkeiten sind ebenfalls im Anhang der ArbMedVV aufgeführt. Beispielsweise handelt es sich dabei um Tätigkeiten an Bildschirmgeräten oder Tätigkeiten, die das Tragen von Atemschutzgeräten der Gruppe 1 erfordern.

Pflichtvorsorge

Die Pflichtvorsorge ist eine arbeitsmedizinische Vorsorge, die der Arbeitgeber bei bestimmten besonders gefährdenden Tätigkeiten zu veranlassen hat. Diese Tätigkeiten sind im Anhang der ArbMedVV aufgeführt. Dazu gehören zum Beispiel:

  • Tätigkeiten mit bestimmten Gefahrstoffen und krebserzeugenden Stoffen
  • Tätigkeiten mit physikalischen Einwirkungen – wie Hitze, Lärm, Vibrationen, künstliche optische Strahlung –, wenn Expositionsgrenzwerte nicht eingehalten werden
  • Tätigkeiten, die das Tragen von Atemschutzgeräten der Gruppen 2 und 3 erfordern
  • bestimmte Tätigkeiten im Ausland mit besonderen klimatischen Belastungen und Infektionsgefährdungen

Der Arbeitgeber darf diese Tätigkeiten nur ausüben lassen, wenn zuvor eine Pflichtvorsorge durchgeführt wurde. Auch dabei dürfen körperliche oder klinische Untersuchungen nicht gegen den Willen der Beschäftigten durchgeführt werden.