Schwerpunktthema: Führungsverhalten und Manipulation von Schutzeinrichtungen
Einer machtʼs, einer schaut zu, einer duldetʼs
Immer wieder werden Schutzeinrichtungen an Maschinen manipuliert. Zeitdruck, Produktionsmengen einhalten oder „Das haben wir schon immer so gemacht“ werden als Gründe genannt. Doch keiner dieser Gründe ist es wert, einen Arbeitsunfall mit möglicherweise schlimmen Verletzungen zu riskieren. Das Verhalten von Führungskräften kann die Maschinensicherheit entscheidend beeinflussen.
Es gibt solche Tage: Die Produktion läuft auf Hochtouren, damit ein dringender Kundenauftrag termingerecht erledigt werden kann. Doch ausgerechnet jetzt meldet die Maschine Störungen. Erst hat sich ein Bauteil verklemmt, dann ist der Sensor verschmutzt und will gereinigt werden. All das kostet Zeit. Die Versuchung ist groß, den Sicherheitsschalter einfach zu überbrücken, um die Störungen zu beheben und die Maschine dafür nicht anhalten zu müssen. Das machen die Instandhalter doch auch so und die Kolleginnen und Kollegen, die an der Maschine nebenan arbeiten, ebenfalls. Der Chef will nichts von Störungen wissen, solange alles läuft… und dann kommt es zu ein Arbeitsunfall … „So läuft das bei uns nicht“, denken vermutlich viele. Vielleicht aber doch?
Denn eine Umfrage zum Manipulationsgeschehen an Maschinen, die das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA) in den Jahren 2020 bis 2022 in Unternehmen durchgeführt hat, zeigt ein eindeutiges Bild: In Betrieben in Deutschland werden 27,2 Prozent der Maschinen ständig oder vorübergehend manipuliert. Und das, obwohl die überwiegende Mehrheit der befragten Personen (81,4 Prozent) sagte, dass das Manipulieren von Schutzeinrichtungen nicht zu tolerieren sei. Wie kommt es dann, dass Beschäftigte sich selbst und andere auf diese Art und Weise immer noch in Gefahr bringen?
Führungsverhalten beeinflusst Unfallrisiko
Eine zentrale Rolle bei der Entscheidung von Beschäftigten, eine Maschine zu manipulieren, spielt das Verhalten der Führungskräfte. Jede zweite der befragten Personen gab an, dass in ihrem Betrieb bereits eine Manipulation mit dem Wissen einer Führungskraft durchgeführt worden sei. Nur 17 Prozent verneinten das. In der Verhaltenspsychologie ist dieser Effekt als „Authority Bias“ bekannt. Gemeint ist die Tendenz des Menschen, den Meinungen von Autoritäten, wie beispielsweise Vorgesetzten, einen großen Wert beizumessen. Gepaart mit der gut gemeinten Motivation, dem Unternehmen helfen zu wollen, entsteht der gefährliche Fehlschluss, dass die Folgen der Manipulation kontrollierbar – und damit ungefährlich – seien. Betriebe, in denen Manipulation von Führungskräften geduldet wird, haben gegenüber Betrieben, in denen das nicht der Fall ist, eine 10,1 Prozent höhere Manipulationshäufigkeit und ein 18 Prozent höheres Unfallgeschehen.
Ohne Vorwürfe Lösungen suchen
Natürlich ist es aufwendig und meist mit Investitionen verbunden, Versäumnisse beim Einkauf einer Maschine oder eines Werkzeugs im Nachhinein zu korrigieren. Häufig sind solche Mängel jedoch gar nicht der maßgebliche Anlass für das Manipulationsgeschehen im Betrieb. Vielmehr scheint das Verhalten der Führungskräfte der maßgebliche Schlüssel für das Manipulationsgeschehen zu sein. Appelle, nicht nur von gesetzlichen Unfallversicherungsträgern, an die Führungskräfte, ihre Vorbildfunktion zu erfüllen, scheinen in betroffenen Betrieben genauso wenig zu funktionieren wie deren öffentliches Bekenntnis gegen Manipulation, zum Beispiel in Unterweisungen. Ein solches öffentliches Bekenntnis ist, wenn es dann auch gelebt wird, jedoch der notwendige erste Schritt hin zu einer eindeutigen Haltung der Unternehmensführung gegen Manipulation.
Veränderungen entstehen zudem nur durch lösungsorientierte Besprechbarkeit. Dazu gehört, dass alte, unsichere Gewohnheiten aktiv unterbrochen und unsichere oder überbrückte Maschinenzustände ernst genommen und korrigiert werden. Vorwürfe sollten vermieden werden, denn sie verhindern eher, dass es zu einer Lösung kommt. Ein wirksamer Gesprächsstil fragt „Wozu ist es nützlich?“ und „Wie können wir das ändern?“. Ein verhindernder fragt „Warum hast du das getan?“ oder „Wer war das?“.
Die Basis für sichere und gesunde Arbeit an Maschinen sind:
- eine funktionierende Arbeitsschutzorganisation, in der Führungskraft, Bedienpersonen, Sicherheitsbeauftragte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit ihre Verantwortung leben,
- ein offener Austausch mit Rückmeldeschleifen direkt vor Ort an der Maschine,
- die gemeinsame Lösungsfindung und
- das notwendige Trainieren der neuen – sicheren – Verhaltensweisen.
Den Ist-Zustand betrachten
Möchten Führungskräfte ein realistisches Bild des Manipulationsgeschehens in ihrem Unternehmen bekommen, sollten sie sich die Arbeitsprozesse an Maschinen regelmäßig ansehen. Hierfür bietet sich eine Begehung im Gespräch mit Führungskräften und Sicherheitsbeauftragten an. Sicherheitsbeauftragte können den Führungskräften die Alltagsprobleme sowie die Wünsche und die Sorgen des Bedienpersonals näherbringen und bei Bedarf vermitteln.
Mit einem möglichst simplen Meldesystem für Sicherheitsrisiken können die Beschäftigten die Führungskraft ohne großen Aufwand über ein mögliches Sicherheitsrisiko zum Beispiel durch eine Manipulation informieren. Die Führungskraft kann dann zu ergreifende Maßnahmen in die Wege leiten und deren Umsetzung aktiv unterstützen.
Das Sicherheitsbewusstsein im Betrieb auf ein höheres Level zu bringen, braucht eine hierarchieübergreifende Kooperation, entschlossene Gelassenheit, die Trennung von alten Gewohnheiten und vor allem auch gute Lösungen, die das Unternehmen als Erfolgserlebnisse voranbringen.
Erik Sebastian und Martin Prüße, BGHM
Bitte nicht verwenden! Mit dem Ersatzbetätiger (links) können Maschinen manipuliert werden.