Von Grenzwerten und Schutzmaßnahmen: Das ist zu beachten
Schwerpunktthema: Krebserzeugende Gefahrstoffe
Als karzinogen oder kanzerogen werden Gefahrstoffe bezeichnet, die Krebserkrankungen auslösen oder begünstigen können, wenn sie eingeatmet, verschluckt oder über die Haut aufgenommen werden. Viele Substanzen entfalten erst Jahre oder Jahrzehnte, nachdem Menschen ihnen ausgesetzt waren, ihre gesundheitsschädliche Wirkung. Daher unterschätzen Beschäftigte die Risiken häufig. Grenzwerte einzuhalten und Schutzmaßnahmen umzusetzen ist deshalb gerade beim Umgang mit karzinogenen Stoffen enorm wichtig.
Ist ein Mensch krebserzeugenden Stoffen ausgesetzt, muss das nicht zwingend eine Krebserkrankung auslösen, jedoch schon geringe Mengen können einen schädigenden Effekt haben. Der Hauptaufnahmeweg ist das Einatmen von Stäuben, Dämpfen oder Aerosolen. Auch eine dermale oder orale Aufnahme ist zu verhindern.
Die REACH-Verordnung Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) verpflichtet Hersteller, Importeure und Inverkehrbringer von Chemikalien, die Risiken ihrer Stoffe für die menschliche Gesundheit zu ermitteln und zu bewerten.
Die CLP-Verordnung (CLP = Classification, Labelling and Packaging) regelt die einheitliche Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien in der EU. Über diese europäischen Mindestvorgaben hinaus sind national weitere Regulatorien möglich. Für den Arbeits- und Gesundheitsschutz in Deutschland sind zum Beispiel die Technische Regel für Gefahrstoffe (TRGS) 905 „Verzeichnis krebserzeugender, erbgutverändernder oder fortpflanzungsgefährdender Gefahrstoffe“ und die TRGS 906 „Verzeichnis krebserzeugender Tätigkeiten oder Verfahren nach § 3 Abs. 2 Nr. 3 GefStoffV“ zu nennen. Alle in Deutschland als krebserzeugend, keimzellmutagen oder reproduktionstoxisch bewerteten Stoffe, sogenannte KMR-Stoffe, finden sich in der KMR-Liste des Instituts für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA).
Stoff-Kategorien und deren Kennzeichnung
Krebserzeugende Stoffe werden gemäß der CLP-Verordnung wie folgt klassifiziert:
- K1A: Stoffe, die auf den Menschen bekanntermaßen krebserzeugend wirken.
- K1B: Stoffe, die im Tierversuch eindeutig und beim Menschen sehr wahrscheinlich krebserzeugend wirken.
- K2: Stoffe, bei denen ein Verdacht auf eine krebserzeugende Wirkung besteht, der aber nicht für eine Einstufung in die Kategorie 1A oder 1B ausreicht.
Weitere Empfehlungen zur Einstufung von krebserzeugenden Stoffen geben die IARC – die Internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation – und die Senatskommission zur Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (MAKKommission).
Zur Kennzeichnung von krebserzeugenden Gefahrstoffen der Kategorien K1A und K1B gehören auf die Verpackung und in das Sicherheitsdatenblatt das Piktogramm „Gesundheitsgefahr“ und der Gefahrenhinweis H350 „Kann Krebs erzeugen“ mit dem Signalwort „Gefahr“ (siehe Abbildung 1).
Gefahrstoffe der Kategorie K2 werden mit dem Gefahrenhinweis H351 „Kann vermutlich Krebs erzeugen“ und mit dem Signalwort „Achtung“ gekennzeichnet.
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Minimierung ist das Ziel
Als verbindliche Beurteilungsmaßstäbe für Luftkonzentrationen gelten in Deutschland Arbeitsplatzgrenzwerte, Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen sowie Beurteilungsmaßstäbe aus stoffspezifischen TRGS. Ist für einen krebserzeugenden Stoff auf Basis wissenschaftlicher, arbeitsmedizinischer und toxikologischer Studien eine Dosis – auch Schwellenwert genannt – ableitbar, unterhalb der auch bei langfristiger Einwirkung kein oder nur ein unbedeutender gesundheitlicher Effekt auftritt, wird ein Arbeitsplatzgrenzwert festgelegt und in der TRGS 900 „Arbeitsplatzgrenzwerte“ veröffentlicht. Für viele krebserzeugende Stoffe existiert ein solcher Schwellenwert jedoch nicht. Diese werden als genotoxisch bezeichnet.
Bei Tätigkeiten mit genotoxischen Gefahrstoffen, für die kein Arbeitsplatzgrenzwert bekannt gegeben worden ist, hat der Arbeitgeber gemäß Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) 10 Absatz 1 ein geeignetes, risikobezogenes Maßnahmenkonzept anzuwenden, um das Minimierungsgebot nach § 7 Absatz 4 umzusetzen. Die TRGS 910 „Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen“ beschreibt ein solches Maßnahmenkonzept.
Als Leitgedanke bei der Minimierung gilt: Nicht die Technik bestimmt die Höhe des verbleibenden Gesundheitsrisikos, sondern das verbleibende Gesundheitsrisiko entscheidet über Dringlichkeit und den erforderlichen Aufwand von Schutzmaßnahmen!
Akzeptanz- und Toleranzrisiko
Der Zusammenhang zwischen der Exposition gegenüber einem genotoxischen Gefahrstoff und der statistischen Wahrscheinlichkeit beziehungsweise dem Risiko, dass bei arbeitstäglich achtstündiger Exposition in 40 Berufsjahren eine Krebserkrankung auftritt, wird über eine Exposition-Risiko-Beziehung (ERB) ausgedrückt (siehe Abbildung 2). In einem sozialpolitischen Konsens wurden die stoffübergreifenden Risikogrenzen 4:1.000 (Toleranzrisiko) und 4:100.000 (Akzeptanzrisiko) festgelegt. Das bedeutet, dass rein statistisch betrachtet toleriert beziehungsweise akzeptiert wird, dass bei 40-jähriger arbeitstäglicher Exposition gegenüber einem krebserzeugenden Gefahrstoff 4 zusätzliche Krebserkrankungen pro 1.000 beziehungsweise 100.000 Arbeitnehmer auftreten können. Vorübergehend wurde für das Akzeptanzrisiko 4:10.000 vereinbart. Aktuell wird geprüft, wie die Absenkung des Akzeptanzrisikos auf 4:100.000 umgesetzt werden kann.
Risiken unterhalb des Akzeptanzrisikos (grüner Bereich) gelten als akzeptabel. Risiken oberhalb des Toleranzrisikos (roter Bereich) sind nicht tolerabel. Im gelben Risikobereich zwischen Akzeptanzrisiko und Toleranzrisiko müssen Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Ziel ist es, das Akzeptanzrisiko zu unterschreiten. Auf Basis arbeitsmedizinischer, epidemiologischer und toxikologischer Literaturdaten werden stoffspezifische Akzeptanz- und Toleranzkonzentrationen abgeleitet und in der TRGS 910 veröffentlicht. Es ist geplant, alle verbindlichen Beurteilungsmaßstäbe für krebserzeugende Stoffe in der TRGS 910 zusammenzuführen.
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Gefährdungsbeurteilung – Schutzmaßnahmen – Unterweisung
Ein wichtiges Instrument des Arbeitsschutzes ist die fachkundig durchgeführte Gefährdungsbeurteilung auf Basis von § 6 der GefStoffV, für die der Arbeitgeber verantwortlich ist. Es sind alle Tätigkeiten zu dokumentieren und zu beurteilen, bei denen krebserzeugende Stoffe eingesetzt werden oder entstehen können. Jede Änderung von Einsatzstoffen oder Verfahren erfordert eine Anpassung der Gefährdungsbeurteilung. Nicht nur der Normalbetrieb ist zu berücksichtigen, sondern auch Reparatur- und Wartungsarbeiten oder die Verschleppung von Gefahrstoffen in andere Arbeitsbereiche. Aus der Gefährdungsbeurteilung sind geeignete Schutzmaßnahmen abzuleiten und umzusetzen.
Schutzmaßnahmen für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen der Kategorie 1A und 1B regelt die GefStoffV in Verbindung mit der TRGS 910. Gemäß dem STOP-Prinzip (Substitution, technische, organisatorische und persönliche Schutzmaßnahmen) ist primär eine Substitution krebserzeugender durch weniger gefährliche Stoffe zu prüfen und durchzuführen. Ergänzend sind technische Schutzmaßnahmen aus stoffspezifischen TRGS der Reihe 500 anzuwenden. Freiwerdende Gefahrstoffe müssen beispielsweise an der Entstehungsstelle erfasst und abgeschieden werden. Ist eine erhöhte Exposition der Beschäftigten zu erwarten, obwohl die technischen Schutzmaßnahmen ausgeschöpft wurden, sind zur weiteren Minimierung organisatorische Maßnahmen zu ergreifen. Arbeitsbereiche, in denen krebserzeugende Gefahrstoffe eingesetzt beziehungsweise freigesetzt werden, müssen zum Beispiel sichtbar abgegrenzt und die Anzahl der dort Beschäftigten muss so weit wie möglich reduziert werden. Zudem müssen krebserzeugende Gefahrstoffe unter Verschluss oder so gelagert werden, dass nur fachkundige und zuverlässige Personen Zugang dazu haben. Erst wenn alle anderen Maßnahmen zur Minimierung nicht ausreichen, ist den Beschäftigten Persönliche Schutzausrüstung, zum Beispiel Atemschutz, zur Verfügung zu stellen, die diese während einer erhöhten Exposition tragen müssen.
Voraussetzung ist ebenfalls: Es dürfen nur fachkundige oder entsprechend tätigkeitsbezogen unterwiesene Beschäftigte mit krebserzeugenden Gefahrstoffen umgehen. Teil der Unterweisung ist eine allgemeine arbeitsmedizinischtoxikologische Beratung einschließlich Hinweisen zur arbeitsmedizinischen Vorsorge.
Arbeitsmedizinische und nachgehende Vorsorge
Der Arbeitgeber hat für Beschäftigte, die Tätigkeiten mit krebserzeugenden Stoffen der Kategorien 1A und 1B durchführen,
arbeitsmedizinische Vorsorge zu veranlassen beziehungsweise anzubieten. Näheres dazu regelt die Verordnung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV). Ausnahmen sind in der arbeitsmedizinischen Regel AMR 11.1 beschrieben.
Ist der oder die Beschäftigte bei der Arbeit keinen krebserzeugenden Stoffen mehr ausgesetzt, muss eine nachgehende Vorsorge angeboten werden. Dafür muss der Arbeitgeber in einem Verzeichnis dokumentieren, welche Beschäftigten krebserzeugenden Stoffen der Kategorien 1A und 1B ausgesetzt sind oder waren. Dieses Verzeichnis muss Angaben zu Höhe und Dauer der Exposition enthalten. Nach Ende der Exposition muss es 40 Jahre lang aufbewahrt werden. Den Beschäftigten ist der sie betreffende Teil nach ihrem Ausscheiden aus dem Betrieb auszuhändigen. Die TRGS 410 „Expositionsverzeichnis bei Gefährdung gegenüber krebserzeugenden oder keimzellmutagenen Gefahrstoffen der Kategorien 1A oder 1B“ konkretisiert die diesbezüglichen Pflichten. Die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung DGUV) bietet Arbeitgebern auf freiwilliger und kostenfreier Basis an, das Expositionsverzeichnis in der Zentralen Expositionsdatenbank (ZED) zu führen und datenschutzgerecht zu verwalten.
Dr. Uwe Pucknat, BGHM