Ein Thema, das niemand mehr hören kann?
Schwerpunktthema: Lärm
Wer mit dem Motorrad durch die Gegend fährt, nimmt das nicht als Lärm wahr, sondern eher als Musik. Was für den einen ein schöner Klang ist, ist für den anderen Krach. Doch spätestens, wenn ein Geräusch gehörschädigend ist, ist klar: Dagegen muss etwas getan werden. Auch und gerade am Arbeitsplatz.
Lärm kann die Gesundheit schädigen, er kann den Schlaf stören, kardiovaskuläre und psychophysiologische Auswirkungen haben, die Leistungsfähigkeit reduzieren und sogar Stress und Veränderungen im Sozialverhalten hervorrufen. Die Kosten der Unfallversicherungsträger für die Berufskrankheit BK 2301 „Lärmschwerhörigkeit“ betrugen laut Statistik der DGUV im Jahr 2020 insgesamt 118 Millionen Euro.
Die Kosten der gesundheitlichen Auswirkungen durch extra-aurale Einwirkungen von Lärm, wie beispielsweise Stress durch Lärm, der die Gesundheit, die Arbeitsleistung, die Arbeitsqualität und das Wohlbefinden beeinträchtigt, gehen geschätzt in die Milliarden. Beim Thema Lärm ist für die Prävention also ein ganzheitlicher Ansatz notwendig, statt nur auf Grenzwerte zu „starren“. Investitionen in Lärmschutz sind in der Regel gut angelegtes Geld.
Extra-aurale Lärmwirkungen
Damit Zuhören und Verstehen zum Beispiel in Besprechungs-, Videokonferenz- und Seminar-räumen möglich ist, ist eine gute Raumakustik nötig. Für die Planung und Überprüfung der akustischen Qualität der Räume ist die Norm DIN 18041 „Hörsamkeit in Räumen“ das Maß der Dinge. Sie beschreibt auch die Anforderungen an akustisch barrierefreie Räume, die beispielsweise für öffentliche Gebäude verpflichtend sind.
Auswirkungen schlechter Büroakustik sind auf den ersten Blick nicht erkennbar. Sie können sich allerdings durch eine geringere Leistungsfähigkeit, einen höheren Krankenstand und eine höhere Fluktuation unter den Beschäftigten bemerkbar machen.
Erste Maßnahmen zur Arbeitssituationsbewertung sind eine Arbeitsplatzbegehung nach der Technischen Regel für Arbeitsstätten ASR A3.7 „Lärm“ Nr. 7.1 oder eine ausführliche Beurteilung mit Hilfe der DGUV Information 215-443 „Akustik im Büro“. Wenn die Lärmdämpfung und weniger die Kommunikation im Vordergrund steht, ist ebenfalls die ASR A3.7 heranzuziehen. Darin sind die Anforderungen etwas niedriger als in der DIN 18041, da die Barrierefreiheit, die für Menschen mit Hörbeeinträchtigung oder in der Kommunikation in einer Fremdsprache wichtig ist, in der ASR A3.7 ausgeklammert wurde.
Im Großraumbüro müssen zwei sich widersprechende Eigenschaften vereinbart und gleichzeitig eine lärmarme Umgebung geschaffen werden: Es soll Kommunikation und gleichzeitig am jeweiligen Arbeitsplatz konzentriertes Arbeiten möglich sein. Der übliche Ansatz ist eine Raumbedämpfung mit Schallabsorbern, ergänzt um trennende Stellwände. Um das realisieren zu können, wird für ein Mehrpersonenbüro empfohlen, pro Arbeitsplatz einen Flächenbedarf von 12 bis 15 Quadratmetern einzukalkulieren.
Aurale Lärmwirkungen
Ab einem Lärmexpositionspegel LEX,8h von mehr als 80 dB(A), das entspricht einer Lärmdosis von konstant 80 dB(A) während einer achtstündigen Arbeitsschicht, liegen aurale Lärmwirkungen vor. Das Innenohr wird belastet und kann bei Überlastung geschädigt werden. Sicherheitshalber haben die Arbeitgebenden ab diesem Wert Gehörschutz bereitzustellen. Eine Schädigung ist irreversibel, erlittene Gehörschäden bleiben lebenslang.
Zunächst sterben die besonders empfindlichen Hörsinneszellen ab, später die weniger empfindlichen. Diesen Hörverlust bemerken Betroffene oft lange Zeit nicht, denn die Entwicklung verläuft über Jahre. Erst wenn nennenswerte Anteile des Sprachbereichs betroffen sind (siehe Bild 1), nehmen Betroffene ein schlechteres Kommunikationsvermögen wahr, insbesondere bei Störgeräuschen. Eine Verbesserung ist nur mit einem Hörgerät möglich.
Rechtsgrundlagen
Wird die „rote Linie“ (siehe Bild 2) eines LEX,8h = 85 dB(A) überschritten, sind strenge rechtliche Vorgaben zu beachten. Primär ist die Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung zu nennen. Sie enthält die Maßnahmen, die für die ermittelten Schallpegel zu treffen sind. Wie diese Schallpegel zu messen sind, ist wiederum beispielsweise in den zugehörigen Technischen Regeln zur Lärm- und Vibrations- Arbeitsschutzverordnung (TRLV) zu lesen.
Auf den ersten Blick scheint die Messung einfach zu sein: Schallpegelmessgerät einschalten, Messwert ablesen, fertig. Doch so simpel ist es nicht, denn oft schwanken die Schallpegel je nach Arbeitstag, Arbeitsaufgabe oder Produkt. Für eine Gefährdungsbeurteilung bezüglich Lärm nach Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) ist die Messung daher von fachkundigen Personen durchzuführen, die die Einflussfaktoren beurteilen können.
Zur Planung neuer Arbeitsplätze, an denen noch keine Messung möglich ist, können für die Gefährdungsbeurteilung Angaben von Maschinenherstellern herangezogen werden. Diese sind nach Maschinenrichtlinie verpflichtet, Werte zu den Emissions-Schalldruckpegeln anzugeben. Doch Vorsicht, diese Angaben beziehen sich auf eine einzelne Maschine, nicht auf eine Ansammlung von gleichartigen Maschinen – denn dann steigt der Schallpegel.
Zudem beinhalten die Angaben nicht die Raumrückwirkungen des Aufstellortes. Auch hier ist es Pflicht, fachkundige Personen die Gefährdungsbeurteilung zu Lärm durchführen zu lassen. Schutzmaßnahmen Entsprechend dem Minimierungsgebot aus dem ArbSchG ist immer zu prüfen, ob eine Gefährdung und Belastung reduziert werden kann. Wenn Substitution nicht möglich ist oder technische Maßnahmen gegen Lärm nicht ausreichen, ist im „gelben“ Bereich, also ab 80 bis unter 85 dB(A), Folgendes durch den Arbeitgeber oder die Arbeitgeberin zu veranlassen:
- Unterweisung zu den Gefahren durch Lärm und praktische Unterweisung zum Tragen von Gehörschutz
- Bereitstellen von Gehörschutz
- Angebot einer Arbeitsmedizinischen Vorsorge
Im „roten“ Bereich, also ab 85 dB(A), kommen folgende Maßnahmen hinzu:
- Lärmbereich kennzeichnen und gegebenenfalls abgrenzen
- Erstellung und Dokumentation eines Lärmminderungsprogramms inklusive Zeitplan
- Tragepflicht von Gehörschutz Pflicht einer Arbeitsmedizinischen Vorsorge
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Schutzmaßnahmen, auch die im Lärmminderungsprogramm, sind grundsätzlich nach dem S-T-O-P-Prinzip aufzustellen. Das heißt, Substitution hat Vorrang vor technischen Lärmminderungsmaßnahmen, die wiederum Vorrang vor organisatorischen und persönlichen Schutzmaßnahmen haben. Substitution und technische Schutzmaßnahmen haben den Vorteil, dass durch sie alle Mitarbeitenden vor Lärm geschützt sind.
Die Beschriftung von stählernen Werkstücken mittels Laser statt Nadelpräger ist ein Beispiel für Substituion: Dabei wird ein lautes Verfahren durch ein leiseres ersetzt. Ein Beispiel für eine technische Schutzmaßnahme: Beim Abblasen mit Druckluft verringern lärmgeminderte Druckluftdüsen die Gefährdung, indem sie den Schallpegel um circa 10 dB(A) senken können.
Doch immer wieder werden diese Druckluftdüsen manipuliert, bis sie wieder laut sind, wie sie es ursprünglich waren, weil der Irrglaube herrscht: „Nur was laut pfeift, reinigt gut.“ Beim Auto käme wohl niemand auf die Idee zu sagen: „Nur was laut scheppert, fährt gut.“ Manipulationen von Schutzmaßnahmen sind unbedingt zu verhindern.
Eine organisatorische Schutzmaßnahme ist es beispielsweise, lärmintensive Arbeiten in die Nachtschicht zu verlegen, in der weniger Mitarbeitende anwesend sind, wenn die betrieblichen Gegebenheiten dies erlauben. Persönliche Schutzausrüstung wie Gehörschutz ist so auszuwählen, dass der am Trommelfell verbleibende sogenannte Restschallpegel keinesfalls die 85 dB(A) erreicht oder überschreitet.
Wird nach dem Motto „viel hilft viel“ vorgegangen und Gehörschutz beschafft, der eine unnötig hohe Schalldämmung besitzt, leidet die Kommunikationsmöglichkeit. Der Gehörschutz wird dann häufig fehlerhaft getragen oder findet nur geringe Akzeptanz.
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Für Personen, die im „gelben“ Bereich (ab 80 dB(A)) arbeiten, ist eine Arbeitsmedizinische Vorsorge im Abstand von 36 Monaten anzubieten. Wenn Personen im „roten“ Bereich (ab 85 dB(A)) tätig sind, ist die Arbeitsmedizinische Vorsorge verpflichtend durchzuführen. Damit können beginnende Gehörschäden durch einen Gehörtest frühzeitig entdeckt werden und es soll zum Beispiel mit dem konsequenten Tragen des Gehörschutzes einer Verschlimmerung entgegengewirkt werden.
Fazit
Im privaten Bereich hat es jeder und jede selbst in der Hand, durch verantwortungsvollen Umgang mit Geräuschquellen unnötigen Lärm zu vermeiden und zu einer weniger lauten Umgebung beizutragen. Bei der Arbeit sollten nicht nur Maßnahmen ab vorgeschriebenen Auslösewerten greifen. Auch Lärm unterhalb der vorgegebenen Grenzwerte sollte minimiert oder besser noch vermieden werden – für einen ganzheitlichen Ansatz für sichere und gesunde Arbeit.
Peter Hammelbacher, BGHM