Versicherter Betriebsweg oder nicht?

Sturz auf dem Weg zum Briefkasten

Eine Beschäftigte stürzte auf dem Weg zum Briefkasten, als sie ihre Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einwerfen wollte, um sie ihrem Arbeitgeber zu schicken. Verletzungen am Handgelenk und an der Schulter waren die Folge.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat nun entschieden, dass die Beschäftigte auf diesem Weg gesetzlich unfallversichert war: Sie erfüllte mit dem Posteinwurf eine Nebenpflicht aus ihrem Arbeitsvertrag und befand sich somit auf einem Betriebsweg. Dass aus einem Arbeitsverhältnis Nebenpflichten entstehen, ist im Bürgerlichen Gesetzbuch beziehungsweise dem Entgeltfortzahlungsgesetz festgehalten.

Eine Nebenpflicht ist beispielsweise, dass Beschäftigte den Arbeitgeber informieren müssen, wenn sie arbeitsunfähig erkrankt sind. Dass die Beschäftigte im konkreten Fall die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU-Bescheinigung) per Post an den Arbeitgeber schicken wollte, stand also in einem inneren Zusammenhang mit ihrer versicherten Tätigkeit.

Sturz auf dem Weg zum Briefkasten
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Es lag demnach eine sogenannte objektivierte Handlungstendenz zur Erfüllung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht vor, weswegen es sich bei dem Weg um einen Betriebsweg handelte, wie das BSG in seinem Urteil entschied (BSG-Urteil vom 30. März 2023, B 2 U 1/21 R). Betriebswege sind gemäß Sozialgesetzbuch VII Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden. Sie sind Teil der versicherten Tätigkeit und damit der Betriebsarbeit gleichgestellt.

Betriebswege sind nicht auf das Betriebsgelände beschränkt und können auch von zu Hause aus angetreten werden, wenn sie unmittelbar der Erfüllung einer Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis dienen. Und genau das war hier der Fall. Dass die Beschäftigte ein privatwirtschaftliches Interesse daran haben konnte, die AU-Bescheinigung vorzulegen, um die Entgeltfortzahlung zu sichern oder vor unberechtigter Kündigung geschützt zu sein, schmälerte den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz nicht. Ein privatwirtschaftliches Interesse tritt hinter den arbeitsvertraglichen Nebenpflichten zurück, wenn die objektivierte Handlungstendenz nicht überwiegend auf die Erfüllung dieser privatwirtschaftlichen Interessen gerichtet ist.

Nebenpflicht im Wandel der Zeit

Der verhängnisvolle Gang zum Briefkasten fand vor der Einführung der elektronischen AU-Bescheinigung (eAU) statt und ist ein Beispiel dafür, dass sich Nebenpflichten ändern können: Seit Einführung der eAU müssen Arbeitgeber die Daten elektronisch bei der Krankenkasse abrufen. Der Weg wäre aus heutiger Sicht nicht mehr nötig. Weitere Nebenpflichten können sein, Gefahren oder Schäden im Betrieb zu melden oder bestimmte Handlungen zu ergreifen, wie zum Beispiel eine Maschine abzuschalten, wenn ein Schaden droht.

Thoma Dunz, BGHM

Ausgabe 6/2023