Berufskrankheiten-Management

„Man hat in dem Job das Gefühl, etwas Gutes zu tun“

Das Gespräch mit der Berufskrankheiten-Managerin Andrea Fleig findet in der Mainzer BGHM-Zentrale statt. Heute ist die Außendienstlerin nicht unterwegs, sondern in ihrem Büro. Im Interview erläutert sie, was Berufskrankheiten (BKen) sind, welche Hauptaufgaben BK- Managerinnen und -Manager haben und wie sie den Versicherten zur Seite stehen.

Frau Fleig, was sind Berufskrankheiten eigentlich?

BKen sind Erkrankungen, die sich die Versicherten bei ihrer beruflichen Tätigkeit zuziehen. Bestimmte Berufsbilder sind mit besonderen Gefährdungen verbunden, die im privaten Bereich besser vermieden werden können: sei es beispielsweise erhöhte Belastung durch Lärm oder durch hautschädigende Stoffe.

„Man hat in dem Job das Gefühl, etwas Gutes zu tun“; Ikiry GR/stock.adobe.com

Wie alt sind die Betroffenen im Durchschnitt?

Oftmals sind die Erkrankten – vor allem bei Krebsfällen – fortgeschrittenen Alters, also über 70 Jahre alt. Es gibt Fälle, da sind die Betroffenen während ihrer Ausbildung mit Asbest in Kontakt gekommen. Erst Jahrzehnte später bricht dann die Krankheit als Asbestose oder als Lungenkrebs aus. Der große zeitliche Abstand macht es für viele Versicherte oft schwierig, einen Zusammenhang zwischen der früheren Tätigkeit und der aktuellen Diagnose herzustellen.

Wenn Versicherte die Ursache ihrer Erkrankung oft nicht kennen und sie nicht als BK melden können, wie erfahren Sie dann davon?

In der Regel erreichen uns die Meldungen über die Krankenkassen, zum Teil auch über Kliniken, Ärztinnen und Ärzte. Gelegentlich kommt es auch zu Selbstanzeigen vonseiten der Versicherten. Sobald uns eine Meldung erreicht, werden wir als BK-Manager tätig und gehen dieser nach.

Andrea Fleig, Berufskrankheiten-Managerin bei der BGHM; © BGHM/bundesfoto.de, Fotograf: Andreas VarnhornAndrea Fleig, Berufskrankheiten-Managerin bei der BGHM

Inwieweit unterscheiden sich die Aufgaben von Reha-Management und BK-Management?

Das Reha-Management widmet sich dem Unfallbereich. Hier werden gemeinsam mit den Versicherten vor allem Lösungen für eine Rückkehr ins Arbeitsleben erarbeitet (siehe Kasten). Im BK-Management stehen vielmehr Menschen im Rentenalter im Fokus.

Wir prüfen die Anzeigen auf eine BK und haben – nach deren Anerkennung – das Ziel, den Versicherten die Teilnahme am sozialen Leben zu erleichtern: etwa durch die Teilnahme am Reha-Sport, an stationären Heilverfahren oder durch die Bereitstellung von Hilfsmitteln, wie Elektroscooter oder elektrische Rollstühle. Wir begleiten die Versicherten bei ihrem Heilverlauf, indem wir regelmäßig Befunde anfordern; wir schauen, ob Rückfälle auftreten, und führen auch Renten- und Pflegeprüfungen durch.

Wir sichern auch die nachgehende Betreuung, indem wir die Versicherten regelmäßig anrufen und besuchen. Versicherte mit einer orthopädischen Erkrankung stehen dagegen oft noch im Erwerbsleben. Wir unterstützen sie dabei, innerhalb des Betriebs weniger belastende Aufgaben wahrzunehmen, etwa von einem handwerklichen Arbeitsplatz zu einem Büroarbeitsplatz zu wechseln. Wir stehen den Versicherten kontinuierlich zur Seite und begleiten sie in der Regel bis zum Lebensende. Da wir auch Hinterbliebenenleistungen gewähren, stehen wir häufig weiter im Kontakt mit den Angehörigen.

Zu Ihren Aufgaben gehört die Ermittlung, ob es sich im gemeldeten Fall um eine BK handelt. Wie gehen Sie vor?

Nachdem ich die Meldung erhalten habe, vereinbare ich mit den Versicherten einen Termin. Im Falle einer Krebserkrankung besuche ich die Versicherten zu Hause – in Begleitung eines Kollegen oder einer Kollegin aus der Prävention. Ich erfahre dann im Erstgespräch, wie es zu dem Befund kam, welche Beschwerden vorliegen, ob Pflegebedürftigkeit besteht und bei welchen Ärzten die Erkrankten vorstellig waren. Der Kollege oder die Kollegin aus der Prävention führt im Anschluss daran eine Arbeitsanamnese durch, erfragt die einzelnen Arbeitgeber und welche Tätigkeiten genau durchgeführt wurden, beziehungsweise mit welchen Stoffen die Versicherten Kontakt hatten. Den vom Präventionsbezirk erstellten Bericht prüfen die Versicherten nochmal auf Vollständigkeit.

Sollte es sich nicht um eine Krebserkrankung, sondern zum Beispiel um eine orthopädische oder eine Hauterkrankung handeln, lade ich die Versicherten zu einer spezialisierten Sprechstunde, zum Beispiel einer orthopädischen oder einer dermatologischen Sprechstunde, ein: Diese werden in einer BG Klinik, einer Klinik mit BG-Zulassung, wie zum Beispiel die Universitätsklinik Mainz, oder in einer Facharztpraxis angeboten. Werden dort Hinweise auf eine BK medizinisch bestätigt, schaltet sich der Präventionsbezirk ein, um eine Arbeitsanamnese durchzuführen. Zudem fordere ich medizinische Unterlagen an, kontaktiere die Krankenkasse und den Landesgewerbearzt. In dieser Zeit nimmt jemand aus dem Präventionsbereich Kontakt mit dem Arbeitgeber des oder der Versicherten auf.

Es besteht leider oft das Vorurteil, wir von der BGHM würden nach einem Vorwand suchen, um eine Erkrankung nicht als BK anzuerkennen. Das Gegenteil ist der Fall: Wir suchen buchstäblich in den Krümeln, um irgendein um Jahre zurückliegendes Indiz auf eine BK zu finden. Nachdem die Kollegen aus der Sachbearbeitung den Fall anhand der bereitgestellten Unterlagen anerkannt haben, übernehme ich die nachgehende Betreuung der Versicherten.

Welche BKen begegnen Ihnen am häufigsten?

Statistisch gesehen sind die häufigsten BKen die Lärmschwerhörigkeit, die Hauterkrankungen und die asbestbedingten Erkrankungen. Wir BK-Manager haben im Alltag vor allem mit Krebserkrankungen zu tun, wie Leukämie, Blasenkrebs oder Lungenkrebs. Die Anzahl der Meldungen von Lungenkrebs geht aktuell noch nicht zurück, weil die Personen, die heute schwer daran erkrankt sind, in ihrer Ausbildung oft noch mit Asbest gearbeitet haben. Zugleich sind die orthopädischen Erkrankungen auf dem Vormarsch – vor allem dadurch, dass neue Krankheitsbilder als BKen hinzukommen, zum Beispiel: „Coxarthrose Hüfte“.

Wären einige dieser Erkrankungen vermeidbar gewesen?

Die durch Asbest ausgelösten Erkrankungen allemal, hätte man von der schädlichen Wirkung von Asbest, das ja seit 1993 in Deutschland und seit 2005 EU-weit verboten ist, früher gewusst. Generell stammen viele Erkrankungen aus früheren Zeiten und aus Arbeitsbedingungen, die heute undenkbar wären: Arbeit mit Asbest, Benzol oder aromatischen Aminen. Auch die Lärmschwerhörigkeit lässt sich durch Prävention verhüten. Bei den orthopädischen Erkrankungen ist es schwieriger. In vielen Berufsbildern, die repetitive Tätigkeiten, viel Heben und Tragen erfordern, werden Hilfen häufig nicht genutzt, auch wenn sie zur Verfügung gestellt werden.

Bei der nachgehenden Betreuung besuchen Sie die Versicherten regelmäßig zu Hause. Warum sind diese Besuche so wichtig?

Es gibt Versicherte, die bemüht sind, am Telefon nicht hilfsbedürftig zu klingen. Hier helfen der Besuch vor Ort und ein Austausch mit den Angehörigen, um abschätzen zu können, wie es wirklich um die Gesundheit der Versicherten steht. Typische Fragen, die ich bei solchen Besuchen stelle, sind: „Wie können wir Sie unterstützen? Brauchen Sie irgendwelche Hilfsmittel?“ Hier ist viel Einfühlungsvermögen gefragt.

Das heißt, als BK-Managerin müssen Sie auch gut zuhören können?

Absolut. Viele ältere Menschen sowie deren Angehörige sind einsam und möchten sich gerne ihre Belastung von der Seele reden. Das lässt uns in gewisser Weise zu Seelentröstern werden. Aktives Zuhören macht einen großen Teil unserer Arbeit aus. Die meisten Versicherten kennen uns als ihre direkten Ansprechpersonen und wissen, dass sie uns in jeder Situation anrufen und schnell Hilfe bekommen können. Viele der Rückmeldungen, die ich erhalte, zeigen mir, dass ich für die Menschen wichtig bin und für sie etwas zum Besseren bewege.

Welche Begegnungen bleiben Ihnen lange in Erinnerung? Wie gehen Sie damit um?

Das sind vor allem die Personen, bei denen es gesundheitlich rapide abwärtsgeht, wenn das Erstgespräch bei einer Krebsdiagnose und das Lebensende nur wenige Monate auseinander liegen. Ich versuche dann, meine Emotionen nicht mit nach Hause zu nehmen, aber das ist nicht immer einfach.

Was an Ihrem Beruf erfüllt Sie mit Freude?

Es ist schön, wenn man die Versicherten lange begleiten darf und ein Vertrauensverhältnis zu ihnen aufgebaut hat. Zufrieden bin ich auch, wenn ich jemandem helfen konnte, indem ich zum Beispiel einen Badewannenlift oder ein Pflegebett organisiert habe. Die Dankbarkeit rührt mich immer wieder aufs Neue. Man hat in dem Job immer das Gefühl, etwas Gutes zu tun. Ich denke mir dann immer: Ich kann den Versicherten den letzten Weg erleichtern, wenn ihre Angehörigen abgesichert sind und alles geregelt ist.

Wie stellen Sie sich das BK-Management der Zukunft vor?

Ich wünsche mir, dass in Zukunft mehr Roboter, Hebehilfen und andere orthopädische Hilfen die Beschäftigten im Betriebsalltag unterstützen – damit viele BKen gar nicht erst entstehen können.

Das Interview führte Alla Soumm, BGHM

Reha-Management: Service aus einer Hand

Nach einem Arbeitsunfall steuert die BGHM die gesamte Rehabilitation der Versicherten – von der Behandlung im Krankenhaus bis hin zur Wiedereingliederung am Arbeitsplatz und im sozialen Leben. Dies ermöglicht einen individuell geplanten Ablauf mit einem bestmöglichen Ergebnis. Dabei stehen den Versicherten erfahrene Reha-Managerinnen und Reha-Manager zur Seite. Unter dem Leitbild „Alles aus einer Hand“ finden sie individuelle Lösungen. Das gelingt unter anderem mit einer engen und koordinierten Abstimmung zwischen Versicherten, Arbeitgebern, Ärzten und Therapeuten. Ist eine Weiterarbeit oder Umsetzung am alten Arbeitsplatz nicht möglich, unterstützt die BGHM bei der Suche nach einer geeigneten Einsatzmöglichkeit oder Maßnahmen der beruflichen (Weiter-)Qualifizierung.

Ausgabe 6/2023