D-Arzt – der Schnellzug in der medizinischen Versorgung

101 Jahre Durchgangsarztverfahren

Vor mehr als 100 Jahren ist das D-Arztverfahren installiert worden. Seitdem müssen Beschäftigte nach einem Arbeits- oder Wegeunfall zunächst einen D-Arzt oder eine D-Ärztin zurate ziehen. Das sind besondere Fachärzte und -ärztinnen, die von der DGUV zugelassen sind.

Am 1. Mai 1892 ist es so weit: Der Durchgangszug D 31/32 rollt am heutigen Potsdamer Platz, dem damaligen Berlin Potsdamer Bahnhof, vom Gleis. Neben den Reisenden versammeln sich dort auch zahlreiche Schaulustige. Denn die Möglichkeit, während der Fahrt durch die Waggons zu schreiten, ist eine kleine Sensation. In den Vorläufermodellen des D-Zugs müssen die Reisenden nämlich noch jedes einzelne Abteil von außen durch Türen betreten.

Längs aller Wagen sind Laufbretter mit Haltestangen angebracht, über die der Schaffner zur Fahrkartenkontrolle balancieren und die Türen in akrobatischen Aktionen öffnen muss. Und nun, der D-Zug – der einzige Zug, dessen Wagen durch mit Faltenbälgen geschützte sichere Übergänge untereinander verbunden sind, die sogenannten Durchgangswagen.

D-Arzt – der Schnellzug in der medizinischen Versorgung

Leider ist nicht bekannt, ob der Begriff Durchgangsarzt und Durchgangsärztin (D-Arzt) in Anlehnung an den Durchgangszug gewählt wurde. Vorstellbar ist es aber durchaus: D-Ärztinnen und D-Ärzte sind Ansprechpersonen für die wichtigsten Stationen gesetzlich Unfallversicherter und Berufserkrankter. Sie überwachen Behandlungsübergänge und sorgen dafür, dass die Behandlungen für die Versicherten bequem und pünktlich durchgeführt werden. Benutzt wurde der Begriff „Durchgangsarzt“ zum ersten Mal in der Reichsversicherungsordnung am 29. November 1921. 

Hohe Anforderungen an D-Ärztinnen und D-Ärzte  

Auch heute ist es im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen Aufgabe der Unfallversicherung, für die verletzte Person mit geeigneten Behandlungsmaßnahmen sowie mit Geld- oder Sachleistungen die schnellstmögliche Rückführung zur Leistungsfähigkeit sicherzustellen (§§ 26 ff. SGB VII). Hierzu werden D-Ärztinnen und D-Ärzte bestellt, die nach der Diagnosestellung über den weiteren Therapieverlauf entscheiden und darüber bestimmen, wer die ärztliche Weiterbehandlung übernimmt.

Nach Paragraf 26 Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger hält der Arzt oder die Ärztin „den Unfallverletzten an, sich unverzüglich einer Durchgangsärztin oder einem Durchgangsarzt vorzustellen, wenn die Unfallverletzung über den Unfalltag hinaus zur Arbeitsunfähigkeit führt oder die Behandlungsbedürftigkeit voraussichtlich mehr als eine Woche beträgt (…) Eine Vorstellung beim Durchgangsarzt oder der Durchgangsärztin hat auch dann zu erfolgen, wenn nach Auffassung der behandelnden Ärztin oder des behandelnden Arztes die Verordnung von Heil- oder Hilfsmitteln (…) erforderlich ist. Bei Wiedererkrankung ist in jedem Fall eine Vorstellung erforderlich. Die unfallverletzte Person hat grundsätzlich die freie Wahl unter den Durchgangsärztinnen und Durchgangsärzten.“

D-Ärztinnen und D-Ärzte müssen zum Führen der deutschen Facharztbezeichnung „Orthopädie und Unfallchirurgie“ berechtigt und weisungsfrei tätig sein. Sie müssen zudem mindestens ein Jahr  in einer Abteilung zur Behandlung Schwerunfallverletzter eines zum Verletzungsartenverfahren zugelassenen Krankenhauses vollschichtig unfallchirurgisch tätig gewesen sein. Ferner müssen sie   zusätzlich personelle, apparative und einrichtungsmäßige  Voraussetzungen erfüllen und zur Übernahme weiterer Pflichten bereit sein – insbesondere im Bereich des Reha-Managements und auf dem Gutachtensektor. Die Landesverbände der DGUV beteiligen demnach ausschließlich fachlich geeignete Ärztinnen und Ärzte mit entsprechender Ausstattung der Praxis oder Klinik am Durchgangsarztverfahren.  

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass „wegen des regelmäßig gegebenen inneren Zusammenhangs der Diagnosestellung und der sie vorbereitenden Maßnahmen mit der Entscheidung über die richtige Heilbehandlung (…) diese Maßnahmen ebenfalls der öffentlich-rechtlichen Aufgabe des Durchgangsarztes zuzuordnen [sind] mit der Folge, dass die Unfallversicherungsträger für etwaige Fehler in diesem Bereich haften“. Was nichts anderes heißt, als dass sich die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung das Handeln der D-Ärztinnen und D-Ärzte als eigenes Handeln zurechnen lassen müssen. Die Anforderungen sind auch deshalb so hoch, weil D-Ärztinnen und D-Ärzte im gesamten Behandlungsablauf eine generalistische Lotsenfunktion übernehmen, gleichzeitig aber über einen hohen Spezialisierungsgrad im Bereich der in der gesetzlichen Unfallversicherung vorkommenden Verletzungsarten verfügen müssen.  

DGUV/red

Weitere Informationen

Ausgabe 6/2022