Technologischer Wandel in der Stahlindustrie

Primärstahlherstellung: Wasserstoff statt Kokskohle

Die deutsche Stahlherstellung ist aktuell mit einer jährlichen Kohlenstoffdioxid(CO2)-Emission von 55 Millionen Tonnen klimaintensiv. Sie verantwortet damit etwa 30 % des nationalen industriellen CO2-Ausstoßes. 

Zur Erreichung der festgelegten Klimaschutzziele müssen die Kohlenstoffdioxid-Emissionen deutlich reduziert werden. Vor diesem Hintergrund stehen die deutschen Stahlhersteller vor einer technologischen Transformation.

Deutschland zählt mit seinen Stahlwerken weltweit zu den acht größten Primärstahlproduzenten. Die deutsche Stahlindustrie mit ihren mehr als 80.000 Beschäftigten produziert jährlich ca. 40 Millionen Tonnen Stahl. Die vielseitige Verwendung des Stahls macht die Stahlindustrie zu einer der wichtigsten Basisindustrien für andere Branchen.

Hoher Bedarf an Stahl

Wasserstoff
© Alexander Limbach/stock.adobe.com

Allein in Deutschland werden zum Beispiel für die Errichtung neuer Windenergieanlagen jährlich 1 Millionen Tonnen Stahl benötigt. Der Hauptanteil der Emissionen entsteht bei der Herstellung von Primärstahl. Dieser macht rund 70 % des in Deutschland produzierten Stahls aus und wird konventionell im Hochofen hergestellt. In einem ersten Prozessschritt wird Eisenerz mit Kokskohle in Roheisen umgewandelt. Der Kohlenstoff entzieht, vereinfacht ausgedrückt, dem Erz den gebundenen Sauerstoff. Als unerwünschtes Abfallprodukt fällt klimaschädliches Kohlenstoffdioxid an.

Zukünftig soll ein Prozess aus Direktreduktionsanlage mit Wasserstoff und anschließender Aufschmelzung im Elektrolichtbogenofen die klassische Hochofenroute ablösen. Zur Entfernung des Sauerstoffs im Eisenerz werden dann die stofflichen Eigenschaften von Wasserstoff genutzt und die Kohle wird als Reduktionsmittel direkt ersetzt. Im Vergleich zur konventionellen Hochofenroute lassen sich damit bis zu 95 % der bisherigen CO2-Emissionen einsparen. Dies jedoch unter der Voraussetzung, dass grüner Wasserstoff verwendet wird.

Grüner Wasserstoff ist die Basis

Wasserstoff ist in seiner natürlichen Form ein farbloses Gas. Die Farbbezeichnung bezieht sich auf die Herstellungsart des Gases. Wird der Wasserstoff per Wasserelektrolyse und Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt, handelt es sich im Sinne der Nachhaltigkeit um grünen Wasserstoff.  Um den Bedarf an grünem Wasserstoff für die Transformation in der Roheisenproduktion zukünftig zu decken, sind daher auch mehr Anlagen zur Gewinnung von Strom aus erneuerbaren Energien, wie Windkraftanlagen und Photovoltaik, notwendig.

Der Prozess, mit Wasserstoff Stahl zu produzieren, befindet sich allerdings noch in der Entwicklung. Seit 2022 werden erste Demonstrationsanlagen zur Erforschung des Prozesses und seiner Endprodukte in Deutschland betrieben. Bis 2026 sollen bei den deutschen Stahlherstellern die ersten großtechnischen Anlagen in Betrieb genommen werden. Der Nationale Wasserstoffrat geht von einer Umstellung der Primärstahlproduktion in Deutschland von etwa 30 % bis 2030 aus. Damit werden dann etwa 600.000 Tonnen Wasserstoff jährlich allein von der Stahlbranche benötigt. Darin liegt eine der wesentlichen Herausforderungen: Erst wenn ausreichend grüner Wasserstoff zur Verfügung steht, kann auch klimafreundlich Primärstahl produziert werden.

Herausfordernde Veränderungen

Die Stahlbranche und ihre Beschäftigten stehen damit vor herausfordernden Veränderungen auf dem Weg zur Klimaneutralität. Neue Prozesse führen zwangsläufig auch zu neuen Arbeitspraktiken und Arbeitsabläufen. Darauf müssen die Beschäftigten der Branche frühzeitig vorbereitet werden. Schließlich sind sie es, die den Wandel umsetzen sollen. Eine auf den Technologiewechsel angepasste Qualifizierung von Fachkräften ist erforderlich. Insbesondere Schulungen zu Wasserstoffsicherheit sind dabei wichtig (siehe Infokasten).

Martin Groß, BGHM

Transformation der Primärstahlherstellung
Transformation der Primärstahlherstellung

BGHM-Seminar zur Wasserstoffsicherheit

Als einer der größten Träger der gesetzlichen Unfallversicherung der Stahlbranche und wichtiger Ansprechpartner für ihre Mitgliedsbetriebe ist auch die BGHM gefordert. Neben individuellen Beratungen bietet sie ab 2025 ein Präsenzseminar zum Thema Wasserstoffsicherheit an. In dem dreitägigen Seminar werden die wesentlichen Grundlagen zu Wasserstoff, die besonderen Gefährdungen und geeignete Schutzmaßnahmen im Umgang mit Wasserstoff vermittelt. Das Seminar richtet sich je nach Modul an Sicherheitsbeauftragte sowie an Meisterinnen und Meister aus den Mitgliedsbetrieben der BGHM mit Fachrichtung Metall . Seminarplatzreservierung unter seminare.bghm.de.

Ausgabe 5/2024