Schulklasse zu laut für Lehrer

Arbeitsunfall durch Mini-Lärmtrauma

Kann das laute Schreien von Schülerinnen und Schülern bei einem Lehrer einen Gesundheitsschaden hervorrufen, sodass es sich bei dem Ereignis um einen Arbeitsunfall handelt? Das hatte das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg zu entscheiden.

Der Kläger war Sportlehrer an einer Oberschule. Nach einer Sportstunde ging er zusammen mit seinen etwa 30 Schülerinnen und Schülern durch den Flur zu den Umkleideräumen. Die Jugendlichen schrien und grölten dabei lautstark. Einige hielten sich wegen des Lärms die Ohren zu, während sie selbst laut kreischten.

Der Kläger sagte, dass dieses akustische Schockereignis zu einem Knacken und anschließend zu einem Druckgefühl auf seinem rechten Ohr geführt habe, was von einem hohen, intensiven Piepton begleitet worden sei. Zudem hätte er das Gefühl einer akustischen Einschränkung gehabt. Er habe „wie in einer Blase“ gehört.

Schulklasse zu laut für Lehrer; © Aleksej/stock.adobe.com

Ein Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (HNO) erstellte bei dem Lehrer ein Tonschwellenaudiogramm, das eine Hörminderung auf dem rechten Ohr im Hochtonbereich von 40 dB bei ca. 6 kHz zeigte, und diagnostizierte einen Hörsturz. Die zuständige Berufsgenossenschaft erkannte das Ereignis im Flur jedoch nicht als Arbeitsunfall an. Vielmehr liege ein sogenannter Gelegenheitsanlass vor: Es sei davon auszugehen, dass der Hörsturz auch bei jeder anderen Verrichtung des täglichen Lebens hätte auftreten können.

Das Sozialgericht entschied dagegen im folgenden Gerichtsverfahren, dass der Kläger sehr wohl einen Arbeitsunfall erlitten habe. Im Berufungsverfahren am LSG führte die Gerichtsgutachterin aus, dass es aufgrund des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs zwischen der Lärmeinwirkung und der temporären Hörminderung mit Tinnitus äußerst wahrscheinlich sei, dass die Gesundheitsstörung in ursächlichem Zusammenhang mit dem Lärmtrauma stehe.

Auch ergebe sich im Tonschwellenaudiogramm eine deutliche Seitendifferenz des Hörverlusts, die für den vom Kläger geschilderten Unfallhergang typisch sei, bei dem die Lärmquelle von einer Seite gekommen war. Zudem hatte ein Sachverständiger schalltechnische Messungen auf dem Flur der Schule durchgeführt und die möglichen Schallleistungsmaximalpegel und den Schalldruckmaximalpegel im Flurteil vor den Umkleideräumen bestimmt. Das LSG ging daraufhin davon aus, dass der Kläger im Flur der Sporthalle über mehrere Sekunden einem Schalldruckpegel in Höhe von 129 dB(A) auf das rechte Ohr ausgesetzt gewesen war – verursacht durch das Schreien der Jugendlichen.

Außerdem erklärte es, dass in der medizinischen Wissenschaft anerkannt sei, dass durch Erreichen der bei 120 bis 130 Dezibel liegenden Schmerzgrenze ein Schrei zu einer temporären Hörminderung mit einem charakteristischen Profil in der Tonaudiometrie führen könne. Das LSG nahm daher einen Arbeitsunfall an (Urteil vom 05. Oktober 2023, Az. L 3 U 18/18). Eine Berufskrankheit kam von vornherein nicht in Betracht, da keine länger andauernde Lärmexposition vorgelegen hatte.

Thomas Dunz, BGHM

Ausgabe 3/2024