BGHM-Forschung
Ergebnisse mit Mehrwert für Betriebe
Prävention und Rehabilitation sind die zwei Hauptbereiche, in denen die BGHM Leistungen für ihre Versicherten sowie für Unternehmerinnen und Unternehmer erbringt. Doch auch die Forschung gehört zu ihren Aufgaben.
Häufig sind Ergebnisse von Forschungsprojekten die Grundlage für neue, praxisnahe Services und Angebote der BGHM. Auf welche Art und Weise sie einen Mehrwert für die tägliche Arbeit in den Betrieben bieten, zeigt das Beispiel des Cobot-Planers. Er ist im BGHM-Forschungsprojekt „Digitale Gefahrenprävention für kollaborative Roboterarbeitsplätze mithilfe einer webbasierten Planungshilfe“ entstanden. Das Tool unterstützt Anwender und Anwenderinnen bei der sicheren und effizienten Auslegung ihrer kollaborativen Roboter – also jener Roboter, die ohne trennende Schutzeinrichtung mit einem oder mehreren Beschäftigten zusammenarbeiten.
Nihad Karacic, BGHM-Fachreferent für Robotik und Automation, ist Projektleiter und hat den Cobot-Planer mit entwickelt. Im Interview beschreibt er, wie eine Idee aus den Betrieben zu einer frei zur Verfügung stehenden Web-Anwendung wurde.
© BGHM/bundesfoto GbR, Fotograf: Andreas Varnhorn
Herr Karacic, wie kam es zu der Idee, eine Anwendung zu entwickeln, die Betriebe bei der Planung von Cobots unterstützt?
Der Austausch mit unseren Mitgliedsbetrieben war da ganz entscheidend. In Beratungsgesprächen und bei Betriebsbesuchen wurde ersichtlich, dass der Wunsch bestand, eine kollaborative Roboteranlage bereits in der Planungsphase sicherheitstechnisch bewerten zu können, also ehe sie in Betrieb genommen wird. Bevor es den Cobot-Planer gab, konnten Hersteller, Integratoren oder Betreiber die sicherheitstechnische Bewertung in der Regel nur an einer fertig aufgebauten Roboteranlage durchführen.
Wie genau funktioniert der Cobot-Planer?
Unter www.cobotplaner.de steht er als webbasierte Applikation allen Interessierten kostenlos zur Verfügung. Anwender haben damit die Möglichkeit, die geplante oder in Planung befindliche Anlage hinsichtlich ihrer Sicherheit und auch ihrer Produktivität in verschiedenen Situationen im Arbeitsprozess zu betrachten. Das Tool ermöglicht es ihnen, vor der Inbetriebnahme einzuschätzen, mit welchen maximalen Geschwindigkeiten sich die Roboteranlage bewegen darf. Das wird für sämtliche Gefährdungssituationen an verschiedenen Messpunkten im Bewegungsbereich des Cobots ermittelt. Maßgeblich sind dafür die Vorgaben aus der Norm ISO TS 15066 „Roboter und Robotikgeräte – Kollaborierende Roboter“.
Der Cobot-Planer bietet also die Möglichkeit, präventiv zu prüfen, ob die Anlage vor dem Hintergrund der Anforderungen im jeweiligen Betrieb sicher und wirtschaftlich arbeiten kann. Bevor es den Cobot-Planer gab, konnten Betreiber wie gesagt unter Umständen erst an der aufgebauten Roboterapplikation feststellen, dass die Anlage bei den im betrieblichen Prozess geforderten Taktzeiten unsicher war und sie die Geschwindigkeit reduzieren mussten. Eine reduzierte Geschwindigkeit wiederum hat einen negativen Einfluss auf die Produktivität einer Roboteranlage.
© BGHM/bundesfoto GbR, Fotograf: Andreas Varnhorn
Von der Idee zum Forschungsprojekt – können Sie skizzieren, welche Stationen dieser Weg beinhaltet?
Zwei meiner Kollegen haben die Idee aus den Betrieben zu Papier gebracht und als Forschungsvorhaben im Referat Forschung der BGHM eingereicht. In enger Zusammenarbeit mit dem Referat haben sie die Rahmenbedingungen festgelegt, also beispielsweise Ressourcen, Zeitaufwand, Termine, Ziele und so weiter. Und sie haben das Forschungsvorhaben von den zuständigen Gremien prüfen lassen. Nachdem es bewilligt worden war, sind alle für das Projekt notwendigen BGHM-internen Abteilungen informiert und die unterschiedlichen Anforderungen an sie definiert worden. Schließlich konnte das Forschungsprojekt zum Cobot-Planer unter dem Namen „Digitale Gefahrenprävention für kollaborierende Roboterarbeitsplätze mithilfe einer webbasierten Planungshilfe“ starten. Unter anderem waren die Vergabestelle, das Justiziariat, das Sachgebiet Webanwendung, Design und Entwicklung sowie die Stabsstelle Steuerung und Datenschutz daran beteiligt. Also Teams aus allen möglichen Abteilungen der BGHM. Anfang 2021 ging der Cobot-Planer dann live.
„Grundsätzlich leisten Forschungsvorhaben einen großen Beitrag zur Minimierung von Risiken und führen damit auf direktem sowie indirektem Weg dazu, dass Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und Belastungen bei der Arbeit dauerhaft reduziert werden."
Beim Cobot-Planer war die BGHM Auftraggeberin und hat mit anderen Institutionen zusammengearbeitet. Wie entstehen solche Kooperationen?
Da die Entwicklung einer solchen webbasierten Planungshilfe enorme Ressourcen fordert, haben wir zur Unterstützung einen externen Partner gesucht. Mit einer Ausschreibung konnten wir das Fraunhofer Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung, kurz Fraunhofer IFF, als Entwicklungspartner gewinnen. Die Kolleginnen und Kollegen dieser Institution haben im Bereich Robotersysteme schon viele Forschungsprojekte begleitet und durchgeführt. Auch der sichere Betrieb von kollaborierenden Roboteranlagen war bereits Thema in Studien des Fraunhofer IFF.
Wie lief die Zusammenarbeit?
Generell ist die Zusammenarbeit in einem Forschungsprojekt sehr eng. Arbeitsaufgaben und Projektstatus werden in regelmäßigen Abständen geprüft und besprochen, um Herausforderungen frühzeitig zu begegnen und das Projekt zu einem erfolgreichen Ergebnis zu bringen. Sowohl mit den internen Abteilungen als auch mit unserem externen Projektpartner hat das reibungslos funktioniert, was bei großen Projekten mit so vielen Akteurinnen und Akteuren keine Selbstverständlichkeit ist. Für offene Punkte haben wir konstruktiv Lösungen gefunden. Auch ich nehme bei jedem Projekt neue Erkenntnisse mit.
Wie alles in der digitalen Welt entwickelt sich vermutlich auch der Cobot-Planer weiter. Was hat sich seit der ersten Version geändert und sind Erweiterungen zu erwarten?
© BGHM/bundesfoto GbR, Fotograf: Andreas Varnhorn
Nach dem erfolgreichen Start des Cobot-Planers haben wir kleine Fehler entdeckt oder sie wurden uns von Nutzerinnen und Nutzern mitgeteilt. Diese kleinen Fehler, in der Regel sogenannte Software-Bugs, wurden mit der nächsten Version behoben. Dabei stand vor allem die Verbesserung der Bedienbarkeit im Fokus. In den darauffolgenden Überarbeitungen des Cobot-Planers wurden weitere Optimierungen eingepflegt. Zum Beispiel ist er mittlerweile in englischer Sprache verfügbar und dadurch für einen internationalen Kreis nutzbar. Zudem wurde die Datenbank mit den neuesten Daten aus Studien des Fraunhofer IFF aktualisiert. Das Projekt läuft noch bis Mitte 2025. Es sind auch weiterhin Erweiterungen und Änderungen geplant und es gibt zahlreiche Ideen, um die Bedienfreundlichkeit zu verbessern. Die vielen positiven Rückmeldungen zum Cobot-Planer, die wir auf Veranstaltungen oder in Form von E-Mails erhalten haben und nach wie vor erhalten, zeigen uns, dass es hier gelungen ist, Forschung in die Praxis zu übersetzen.
Haben Sie weitere Beispiele, wie Forschung für mehr Sicherheit und Gesundheit in den Betrieben sorgt?
Neben dem Cobot-Planer gibt es einige Beispiele von der BGHM, aber auch von anderen Berufsgenossenschaften, wie Forschung die Sicherheit und Gesundheit in Betrieben verbessert. Es gibt Projekte zu den Themen Lastaufnahmemittel, Schutzsysteme an Maschinen der spanenden Metallbearbeitung oder zur Ergonomie. Manche haben konkrete Ergebnisse als Ziel. Die Ergebnisse anderer Forschungsarbeiten fließen in die Normung und damit schließlich langfristig in die Betriebspraxis ein. Grundsätzlich leisten Forschungsvorhaben einen großen Beitrag zur Minimierung von Risiken und führen damit auf direktem sowie indirektem Weg dazu, dass Arbeitsunfälle, Berufskrankheiten und Belastungen bei der Arbeit dauerhaft reduziert werden.
Gibt es speziell im Bereich Robotik schon weitere Forschungsprojekte? Oder sind welche in Planung?
Die Entwicklungen in der Robotik sind sehr dynamisch, getrieben von unterschiedlichen Faktoren, wie etwa der Effizienzsteigerung, der Kostenreduzierung oder dem Fachkräftemangel. Neue innovative Produkte und neue Geschäftsmodelle kommen auf den Markt, sodass viele neue Fragen hinsichtlich Sicherheit und Gesundheit aufgeworfen werden. Die Forschungsthemen gehen uns sicherlich nicht aus.
Das Interview führte Eva Ebenhoch, BGHM
Ausgabe 3/2024