Reha-Management

Wir möchten das Optimum aus dem Heilverlauf herausholen

Unter dem Leitbild „Alles aus einer Hand“ finden Reha- und Berufskrankheiten-Manager und -Managerinnen nach Unfällen und berufsbedingten Erkrankungen individuelle Lösungen für Versicherte. Carla Linser ist Reha- Managerin und betreut rund um Nürnberg von Arbeits- und Wegeunfällen Betroffene. Sie berichtet von ihren Aufgaben, von Erfolgen und warum für Versicherte neben dem Wiedereinstieg in den Beruf die soziale Rehabilitation so wichtig ist.

Wie sind Sie zu Ihrem Beruf gekommen?

Carla Linser: Ich habe das duale Studium Bachelor of Arts Sozialversicherung absolviert und in diesem Zusammenhang das erste Mal damit in Berührung gekommen: In unseren Praxisprojekten ging es auch um das Reha-Management. Damals war mir schon klar, dass das mein berufliches Ziel ist.

Reha-Management; © Robert Kneschke/stock.adobe.com

Was braucht es für diesen Job?

Linser: Entscheidend ist vor allem Empathie, ein echtes Interesse an dem Menschen, der mir gegenübersitzt. Die kann einem auch niemand beibringen. Wer diesen Beruf ergreifen will, muss sie mitbringen. Darüber hinaus sind Rechtskenntnisse und kommunikative Fähigkeiten wichtig. Ich muss für meine Versicherten einstehen können.

Was gehört bei der Betreuung von Versicherten zu Ihren Aufgaben?

Linser: Wichtigste Aufgabe ist die Steuerung des Heilverfahrens. Dazu erstelle ich nach einem Erstgespräch zunächst einen Reha-Plan. Dieser entsteht schon vor der Entlassung aus dem Krankenhaus beziehungsweise im Verlauf der Reha- Sprechstunde oder vor Ort beim Durchgangsarzt. Im gemeinsamen Gespräch mit dem oder der Versicherten sowie den Ärzten besprechen wir, welcher Unterstützungsbedarf aufgrund der Verletzungen besteht, und definieren Therapieziele. In der Folge unterstütze und berate ich bei der Suche nach geeigneten und wohnortnahen Ärzten und vermeide, wenn möglich, sogenannte „Reha-Löcher“ – also Zeiten, in denen es mit der Behandlung beziehungsweise der Rehabilitation nicht weitergeht. Zugleich gebe ich eine Prognose ab, wann und ob jemand ausreichend belastbar ist, um in den Job zurückzukehren. Wenn ich feststelle, dass weitere, spezielle Beratung erforderlich ist, vermittle ich an passende Beratungsstellen, andere Sozialleistungsträger oder am Reha-Prozess beteiligte Fachkräfte. Das ist ein zusätzliches Angebot im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes.

Was ist das Ziel Ihres Einsatzes?

Linser: Im besten Fall erreichen wir eine nahtlose Heilbehandlung, in deren Folge die Rückkehr in den gewohnten beruflichen Alltag möglich wird. Durch Rehabilitation und Beratung sollen langanhaltende Unfallfolgen vermieden werden. Wir bemühen uns aber auch, herauszufinden, was dem oder der Versicherten darüber hinaus wichtig ist. Wir möchten das Optimum aus dem Heilverlauf herausholen.

Was braucht es, damit das gelingt?

Linser: Wir brauchen Vertrauen von den Versicherten. Viele kennen die Berufsgenossenschaft nicht und wissen nicht, was zu unseren Leistungen gehört. Und natürlich schlägt einem manchmal auch Misstrauen entgegen – wir sind für die Leute eben eine Behörde. Dieses Vertrauen kann ich mir nur im persönlichen Gespräch erarbeiten. Das erste Aufeinandertreffen bereite ich daher intensiv vor. Im weiteren Verlauf ist Verlässlichkeit unglaublich wichtig, um das mir entgegengebrachte Vertrauen zu bestätigen.

Und darüber hinaus?

Linser: Wichtig ist neben dem Genannten ein gutes Netzwerk aus Ärzten und Therapeuten, insbesondere hier vor Ort, damit ich schnell und wohnortnah Termine an die Versicherten vermitteln kann. Sie brauchen ein Ziel als Motivation. Sozialer Kontext ist ebenfalls entscheidend: Gibt es Familie, Freunde, Kollegen? Hobbys? Denn ein unterstützendes Umfeld kann einen großen Unterschied machen. Ich habe mal einen 17-Jährigen betreut, der von der Brust abwärts gelähmt war. Seine Familie hat ihn unglaublich unterstützt, außerdem hatte er täglich Besuch von Freunden. Die haben ihn im Rollstuhl mit zum Feiern genommen. Der 17-Jährige hat im ganzen Reha-Verlauf nie mit seinem Schicksal gehadert und mich schon nach sechs Monaten gefragt, ob er bald Monoski (Anmerkung der Redaktion: ein breiter Ski, auf dem statt Bindungen für Skistiefel eine Art Sitz angebracht wird) fahren kann.

Wie begegnen Ihnen die Angehörigen der Verunfallten?

Linser: Das reicht von skeptisch und ablehnend bis hin zu dankbar für die Unterstützung. Ich kann die Skepsis nachvollziehen. Schließlich dringe ich teils in sehr persönliche Bereiche der Familie ein, bin oft auch in der Wohnung. Je nach Verletzung und Dauer des Heilverfahrens haben wir lange miteinander zu tun und lernen uns gut kennen.

Wie lange kann denn so eine Betreuung dauern?

Linser: In der Regel bis zum Erreichen des Therapieziels und der Wiedereingliederung in den Beruf, sofern möglich. In manchen Fällen kommt es aber auch zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit. Liegt die bei 80 Prozent oder mehr, bieten wir eine nachgehende Betreuung an. Die kann bis zum Lebensende dauern. Dieses Angebot ist mir persönlich auch sehr wichtig. Es unterscheidet uns auch von anderen Trägern, die Reha anbieten, dass wir so lange an der Seite der Versicherten bleiben.

Wie reagieren Arbeitgeberinnen, Arbeitgeber und Behörden auf Ihren Einsatz?

Linser: Erstere sind meistens dankbar, wenn sie – mit Einverständnis der Versicherten natürlich – Informationen zu Behandlung und Prognose bekommen. Es hilft ihnen, die Situation einzuschätzen: Wo stehen wir gerade im Heilverfahren, welche Perspektiven gibt es? Erstes Ziel ist immer, das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Behörden sind in der Regel froh, wenn die Berufsgenossenschaft Herrin des Verfahrens ist – dann sind die Zuständigkeiten klar.

Hören Sie manchmal noch von Versicherten auch nach der Betreuung?

Linser: Wenn es richtig gut läuft, höre ich nichts mehr. Dann sind sie in ihrem Leben angekommen. Manche rufen auch nach Jahren noch mal an mit einem Anliegen. Einige bedanken sich am Ende des Heilverfahrens.

Was war Ihr größtes Erfolgserlebnis in einer Betreuung?

Linser: Das ist jeder einzelne Mensch, wenn wir das Bestmögliche für ihn rausgeholt haben. Deroder diejenige muss mit sich und dem neuen Leben so weit wie möglich im Reinen sein. Wir machen da eine individuelle und persönliche Arbeit. Aktuelles Beispiel: Ein Auszubildender zum Betriebselektroniker verletzte sich an der linken Hand und konnte seine Ausbildung nicht fortsetzen. Die medizinischen Möglichkeiten zur Verbesserung waren irgendwann ausgeschöpft. Lange konnte er sich nicht vorstellen, wie es weitergehen sollte. Bis er sich dann plötzlich für einen völlig neuen Ausbildungsberuf entschieden hat. Diese Entscheidung treffen zu können, war ein riesiger Schritt für ihn. In solchen Situationen freue ich mich mit, aber letztlich ist das ja eine Leistung des Versicherten.

Warum ist die soziale Rehabilitation so wichtig?

Linser: Versicherte ziehen aus dem sozialen Bereich, aus dem, wie sie vor dem Unfall gelebt haben, Motivation und Resilienz. Arbeit und Unfall prägen, aber eben nicht allein. Das soziale Leben, zum Beispiel das Hobby weiterhin zu ermöglichen, kann für die Heilung förderlich sein. Da setzen wir an. Ein junger Versicherter beispielsweise ist durch die Folgen eines Unfalles auf den Rollstuhl angewiesen. Damit er auch weiterhin an den Wanderurlauben mit seiner Familie teilnehmen kann, haben wir die Ausstattung seines Rollstuhls mit einem Antrieb unterstützt. So kann er Steigungen ohne Probleme bewältigen. Ein weiterer Versicherter wiederum spielt erfolgreich Rollstuhltischtennis in der 2. Bundesliga. Während der Pandemie war das Training im Verein nur eingeschränkt möglich. Deshalb haben wir eine Ballmaschine für zu Hause bezuschusst.

Das Interview führte Lisa Bergmann, BGHM

Ausgabe 1/2024